Flüchtlingsströme, rechtsradikale Parolen, Islamphobie und die Sorge um Parallelgesellschaften prägen die Diskussion um die Stellung des Islams in der deutschen Gesellschaft. Grund genug, um den Islam genauer in den Blick zu nehmen und daraufhin zu untersuchen, wie moderne, zeitgemäße Zugänge zu dieser Religion aussehen können.
Die Auftaktveranstaltung am 10.02.2015 bildete ein Vortrag von Prof. Mouhanad Khorchide, Professor für islamische Religionspädagogik am Centrum für Religiöse Studien (CRS) an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster, zum Thema "So anders sind wir doch gar nicht" - moderne Zugänge zum Islam.
An den darauf folgenden Tagen erwarteten die Teilnehmer/innen zunächst ein Besuch der Abu Bakr Moschee in Koblenz und anschließend Workshops im Haus Marienland (Berg Schönstatt) in Vallendar. Folgende Themen wurden behandelt:
- "Allahu akbar" - Gottesvorstellungen im Islam
- Wie erfüllen wir den Willen Gottes? - Ethik und Eschatologie im Islam
- Der Islam auf dem Weg nach einem Platz in der Moderne - Geschichte und Gegenwart einer Weltreligion
- Gottes Eifer - Der Monotheismus als Quelle der Gewalt?
Die Teilnehmer/innen waren sich nach der Veranstaltung einig, ein neues Verständnis für den Islam gewonnen zu haben.
Weitere Informationen enthält der Flyer zu den Akademietagen 2016.
Bericht der Rhein-Lahn-Zeitung zur Auftaktveranstaltung:
Islam: Religion der Liebe und Freiheit?
Vortrag Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide zu Gast im Lahnsteiner Johannes-Gymnasium
Von unserer Mitarbeiterin Ulrike Bletzer
Lahnstein. Religionswissenschaftlicher Einblick in ein hochaktuelles, an gesellschaftspolitischer Relevanz kaum zu überbietendes Thema: Zum Auftakt der diesjährigen Akademietage, die das Lahnsteiner Johannes-Gymnasium gemeinsam mit dem Bischöflichen Cusanusgymnasium Koblenz auf die Beine stellte, sprach Prof. Dr. Mouhanad Khorchide, Leiter des Zentrums für Islamische Theologie an der Universität Münster, über das Thema „So anders sind wir doch gar nicht – moderne Zugänge zum Islam“. Nicht erst seit den Terroranschlägen von Paris sei die Auseinandersetzung mit dem Islam eines der wichtigsten Problemfelder der heutigen Zeit, betonte Schulleiter Rudolf Loch in seiner Einführung: „Aber seither besitzt sie noch mehr Brisanz.“ Und: Eine Mini-Umfrage in seinem Leistungskurs der Jahrgangsstufe 13 habe gezeigt, dass die Schüler mit dem Islam ausschließlich negativ besetzte Begriffe wie „Terror“, „IS“ oder „Zwangsheirat“ verbinden. „Es scheint, als ob Sie auch bei uns noch einige Aufklärungsarbeit zu leisten hätten“, sagte Loch an den Referenten gewandt.
Was dieser denn auch auf ebenso kenntnisreiche wie anschauliche Art und Weise tat. „Ich werde mich bemühen, Ihnen heute ein anderes Bild des Islam zu vermitteln“, stieg Mouhanad Khorchide, der als einer der bedeutendsten Vertreter eines aufgeklärten Islam gilt, in seinen Vortrag ein. Eine grundlegende Frage: Von welchem Gottesbild geht der Islam aus? Sehr einprägsam skizzierte Khorchide zwei innerhalb des Islam vertretene Positionen, die gegensätzlicher wohl kaum sein könnten. Dem ersten Modell zufolge hat Gott den Menschen erschaffen, um sich von diesem anbeten zu lassen. „Wer dieses Gottesbild verinnerlicht hat, tut von Gott erwünschte Dinge, weil er auf Belohnung hofft, und unterlässt unerwünschte, weil er Angst vor Rache hat. Das heißt, er nimmt eine opportunistische Haltung ein, bei der es ihm letzten Endes nur um ihn selbst geht“, merkte Khorchide kritisch an und mahnte: „Wenn man die Religion auf diese Weise auf eine Ansammlung von Instruktionen reduziert, geht ihr Herz verloren.“ Mehr noch: „Man projiziert Dinge in Gott hinein und macht ihn damit klein.“
Ein bedingungslos liebender Gott
Als Beleg für das zweite Modell, das dem aus seiner Sicht richtigen Gottesbild entspricht, zitierte der Referent aus der fünften Sure des Koran, wo es heißt: „Gott erschafft Menschen, die er liebt und die ihn lieben.“ Kein selbstbezogener, sondern ein bedingungslos liebender, barmherziger Gott also. Und als Pendant ein Mensch, der zwar im Auftrag Gottes handelt, aber mit dem Bewusstsein der eigenen Freiheit ausgestattet ist. „Was bedeutet es im Umkehrschluss für den Menschen, barmherzig zu Gott zu sein?“, fragte Khorchide. Die Antwort: Man sei dann barmherzig zu Gott, wenn man den Mitmenschen die Hand ausstrecke: „Je mehr der Mensch im Sinne der Barmherzigkeit handelt, desto religiöser ist er.“ Religion sei somit als Medium der Entfaltung der Liebe und der Freiheit des Menschen zu verstehen – eine ausgesprochen fortschrittliche, weltoffene Sicht.
Unter Islamwissenschaftlern umstritten: Kommt es auf die Botschaft des Koran oder auf seinen in sprachliche Bilder gekleideten, exakten Wortlaut an? „Wenn wir wissen wollen, was uns der Koran im 21. Jahrhundert zu sagen hat, müssen wir die Bilder entschlüsseln und in ihren jeweiligen Kontext transportieren“, plädierte Khorchide für die sogenannte historisch-kritische Koranexegese. Aber: „Niemand darf für sich in Anspruch nehmen, die Wahrheit zu besitzen. Was den Glauben betrifft, bleibt man immer ein Suchender.“
Viel Stoff zum Nachdenken und Diskutieren also. Ob die in manchen muslimischen Staaten verhängten menschenverachtenden Strafen nicht in krassem Widerspruch zu Werten wie Liebe und Barmherzigkeit stünden, wollte ein Teilnehmer der gut besuchten Veranstaltung wissen. „Diese Strafen sind nicht religiös, sondern machtpolitisch begründet“, antwortete Mouhanad Khorchide. „Die Behauptung, sie seien von Gott gewollt, ist nur ein Deckmantel, der ihrer Legitimation dient.“ Übrigens seien auch die westlichen Länder an dem Problem nicht unschuldig, gab er zu bedenken: „Wir müssen uns entscheiden, was uns mehr wert ist: Menschenrechte oder wirtschaftliche Interessen.“
Räume für Begegnungen schaffen
Wie es im Zusammenhang mit der Integration um das im Islam vorherrschende Bild der Frau bestellt sei, lautete eine weitere Frage aus dem Publikum. Das Bild der Frau als solches gebe es nicht, entgegnete Khorchide: „Auch in muslimischen Ländern existieren sowohl fortschrittliche als auch patriarchalisch geprägte Frauenbilder.“ Zudem sei es in allen Religionen ein Problem, dass die Theologie von Männern dominiert werde: „Das geht stets zulasten eines ausgewogenen Frauenbildes.“ Und was die Gleichberechtigung, etwa in praktischen Dingen wie den im Haushalt anfallenden Aufgaben, betrifft: „Hier hilft der theologische Disput allein nicht weiter“, betonte der Referent. „Entscheidend ist vielmehr die Sozialisation. Es gilt, Räume für Begegnungen zu schaffen, damit männliche Muslime so früh wie möglich mit anderen Werteordnungen konfrontiert werden.“
Rh.-Lahn-Ztg. Bad Ems vom Montag, 15. Februar 2016
Zahlreiche Zuhörer beim Eröffnungsvortrag in der Aula
Prof. Mouhanad Khorchide hielt das Auftaktreferat
Besuch in der Abu Bakr Moschee in Koblenz-Wallersheim
Interessierte Zuhörer im Gebetsraum der Abu Bakr Moschee
Podiumsdiskussion nach vier intensiven Workshops
Abschlussdiskussion im Haus Marienland in Vallendar