Wie geht eine überzeugte Pazifistin mit dem dringenden Appell des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj um, Deutschland möge Waffen für den Krieg gegen Putin liefern? Eigentlich gilt für Bärbel Bas immer noch der Satz „Frieden schaffen ohne Waffen!“, der Leitsatz der Friedensbewegung aus den 1980er-Jahren. Aber vor wenigen Wochen war sie selbst in der Ukraine, in Butscha und in Irpin, hat die Massengräber gesehen, hat gesehen, wie viel Leid dieser Krieg den Menschen bringt, wie brutal und menschenverachtend der russische Machthaber agiert. „Wenn dort Menschen sterben, können wir nicht bei unseren Prinzipien verharren. Dann müssen wir helfen“, sagte die Bundestagspräsidentin, die jetzt im Lahnsteiner Johannes-Gymnasium zu Gast war, mit den Jahrgangsstufen elf und zwölf eine sehr rege Diskussion führte und sich vielen politischen als auch persönlichen Fragen stellte.

Zum Beispiel wie der Tagesablauf einer Bundestagspräsidentin aussieht oder wie sie zur Politik gekommen ist. Bärbel Bas, SPD-Politikerin und seit Oktober 2021 Präsidentin des Deutschen Bundestages, stammt aus Duisburg, war bei den Verkehrsbetrieben tätig und gewerkschaftlich aktiv. Nach einem Schlüsselerlebnis habe sie sich gesagt, „wenn Politiker bestimmte Dinge entscheiden, dann will ich auch in die Politik“, schildert sie ihren Entschluss, in die SPD einzutreten. Seit 2009 ist sie Bundestagsmitglied. Und noch eine persönliche Frage: Ob sie als Politikerin schon einmal Nachteile erlebt hat, weil sie eine Frau ist? „Eine ganze Menge“, antwortet Bärbel Bas, die in ihrer räumlichen Position als Bundestagspräsidentin jetzt alles „von oben“ betrachten kann. „Da gibt es immer noch genervte Blicke oder auch mal Zwischenrufe, wenn eine Frau ans Podium geht.“ Sie rät Frauen, sich Netzwerke zu schaffen und sich gegenseitig zu unterstützen, „das machen die Jungs nämlich auch“.

Eigentlich alle Themen, die aktuell die Welt und sie selbst bewegen, hatten die Schülerinnen und Schüler auf ihrer Liste: die wirtschaftlichen Beziehungen zu China, einem Land, in dem Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung sind. „Wir müssen Europa und seine Wirtschaft stärken, um nicht in eine Abhängigkeit zu geraten“, sagt Bärbel Bas. Wie bewertet sie das wiedereingeführte Abtreibungsverbot in den USA? „Ich persönlich empfinde dieses Urteil als eine Katastrophe“, antwortet sie, Frauen in schwierigen Lebenssituationen würden dadurch in die Illegalität gezwungen. Ein Rückschritt dessen, was Frauen sich in vielen Jahrzehnten erkämpft haben.

Harte Strafen für WikiLeaks-Gründer Julian Assange, die kontrovers diskutierte allgemeine Corona-Impfpflicht oder die Legalisierung von Cannabis waren weitere Themen, auf die Bas gerne und offen antwortete. Sie selbst sei natürlich geimpft, um eine Impfplicht bei einer Krankheit wie Corona, die damit nicht ausgerottet werden könne, einzuführen, bedürfe es jedoch sorgsamer Abwägung. Und zu Letzterem: Die Kriminalisierung der Konsumenten sei der falsche Weg. Diejenigen, die mit Drogenhandel verdienen, müssten zur Rechenschaft gezogen werden. Noch einmal schildert Bas die Eindrücke ihrer Reise in die Ukraine, wo sie bereits im Mai als eine der ersten aus der deutschen Politikerriege war. „Wenn Sie dort die Menschen in Butscha gesehen haben, ihre müden Augen und ihre Erschöpfung. Und auf der anderen Seite wollen sie kämpfen.“ Dies live zu erleben, sei etwas völlig anderes, als die Bilder in den Medien zu sehen. „Als ich zurückkam, war für mich klar, ich möchte die Ukraine auf ihrem Weg in die Europäische Union unterstützen.“

Roger Lewentz, rheinland-pfälzischer Innenminister, hatte Bärbel Bas eingeladen zum Besuch am Rhein und des Loreleyplateaus, das anschließend auf dem Programm stand. „Mir ist es aber immer auch wichtig, den Kontakt zu jungen Menschen herzustellen“, sagte er beim Besuch in Lahnstein,, der für alle Teilnehmer eine spannende Gesprächsrunde war.

Quelle: RZ, 21.07.2022

[PLEASE FIX!] Please choose your cookie preferences: