Helmut Letschert hat eine Menge zu erzählen. Und er tut das gern. Auch heute noch, mit fast 90 Jahren. Einmal in der Woche diskutiert er mit „dem jungen Gemüse“ alte und neue Themen, erzählt Geschichten aus seinem Leben. Seine aufmerksame Zuhörerschaft kommt vom Johannes-Gymnasium. Dort gibt es nämlich seit Ende der Sommerferien den Generationentreff.

Immer donnerstags besuchen Schülerinnen der neunten und zehnten Klassen die Senioren des Caritas Altenzentrums St. Martin in Lahnstein. Norbert Kalt, Koordinator der Ganztagsschule am Johannes-Gymnasium, hatte das Projekt angestoßen. „Wir waren schon länger auf der Suche nach sozial geprägten Angeboten für den Ganztagsschulbereich“, sagt der Zweite stellvertrende Schulleiter. Die Zusammenarbeit mit dem Altenzentrum St. Martin kam schnell zustande. Gertrud Schwickert, Leiterin der Einrichtung, ist begeistert von dem Projekt. „Obwohl viele Bewohner um diese frühe Mittagszeit ihr Schläfchen halten, kommen immer rund 15 bis 20 Menschen herunter, um mit den Jugendlichen zu sprechen oder zu spielen.“

Heute rollen gleich auf zwei Tischen die Würfel – „Mensch ärgere dich nicht“ gehört hier zu den beliebesten Gesellschaftsspielen. Manche schauen still zu, manche sind mit Feuereifer dabei. Die 92-jährige Giovanna Sauerbrei lässt ihre jungen Mitspielerinnen mit gewieften Spielzügen alt aussehen. „Sie haben aber heute Glück“, sagt Annika Wagner. Die Schülerin hat Spaß an dem Umgang mit den alten Menschen. Vor allem, wenn sie Anekdoten aus ihrem Leben erzählen.

Auch Giovanna Sauerbrei hat viel zu berichten. Von ihren drei Töchtern und ihrer Kindheit in Italien. „Ich finde es schön, dass die Kinder aus der Schule herkommen“, sagt sie. „Aber eigentlich sollten sie um diese Zeit ordentlich mittag essen.“ Die Mädchen reagieren gerührt auf die (italienisch-)mütterliche Fürsorge. „Zu Mittag gegessen haben wir schon“, beruhigen sie die Dame und rüsten das Spielbrett für die nächste Partie. Manchmal werden die Nachmittage mit den Senioren konkret vorbereitet. „Dann sprechen wir zum Beispiel über die Unterschiede von früher und heute“, erzählen Dana Niedzwetzki und Nadine Wilbert aus der neunten Klasse. „Zum Beispiel wie man sich früher geschminkt oder was man für Spiele gespielt hat. Es ist spannend, ihre Geschichte zu erfahren. Man kann echt viel von den alten Leuten lernen.“

Natürlich: Am Anfang gab es Berührungsängste und Hemmschwellen – auf beiden Seiten. „Aber das hatte sich ziemlich schnell abgebaut“, erklärt Lin Bihn, die ein freiwilliges soziales Jahr am Johannes-Gymnasium absolviert und den Generationentreff betreut. „Der Treff hat viel Positives für beide Seiten.“ Allerdings schüre das Projekt hier und da auch Ängste bei den Mädels. Schließlich werden sie nicht zuletzt mit Gebrechlichkeit, Krankheit, Einsamkeit und Tod konfrontiert.

Rhein-Lahn-Zeitung Diez vom Mittwoch, 23. April 2014, Seite 11

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